Märchen faszinieren mich seit der Kindheit. Dutzende Märchenbücher als aller Welt stehen im Regal, doch gelesen habe ich schon lange nicht mehr darin. Dabei verdanke ich mein Interesse für Geschichten und Sprache mit Sicherheit auch den überlieferten Erzählungen aus alter Zeit. Dass sie bis heute nicht nur Kinder begeistern, beweist eine aktuelle Sonderausstellung im Stadtmuseum Dresden.
In der Adventszeit haben Märchen Konjunktur. Glücklicherweise nicht nur im Supermarkt, wenn Schneewittchen oder Aschenbrödel als Werbeträgerinnen herhalten müssen. Noch vor 200 Jahren vom Aussterben bedroht, haben Märchen dank der Veröffentlichungen der Brüder Grimm überlebt und sind populär. Die idealerweise frei erzählten Texte regen Denken und Phantasie an, fördern sprachliche Fähigkeiten und vermitteln Sinn. Im Jahr 2016 wurde das Märchenerzählen von der Deutschen UNESCO-Kommission in das bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe aufgenommen. Die Europäische Märchengesellschaft weiß warum: „Das Leben fordert jeden Menschen heraus, und davon erzählen die Märchen: wie das Leben trotz Gefahren und Herausforderungen gelingen, glücklich werden kann. Geh und mach dich auf den Weg, scheinen die Märchen zu sagen, habe Mut das Leben zu wagen.“
Zudem sind Märchen Forschungsgegenstand für Volkskundler, Literaturwissenschaftler, Historiker, Psychologen oder Pädagogen. Die Märchen- und Erzählforscher analysieren Texte nach Merkmalen wie Inhalt, Funktion und Symbolik – auch um international verschiedene Märchenversionen vergleichen zu können. Der Typus ATU 545 B „Der gestiefelte Kater“ steht beispielsweise für Märchen, in denen ein Tier einem Menschen zu sozialem Aufstieg verhilft. Doch das ist der erwachsene Blick auf die Ausstellung „Vom Märchen, das auszog, erzählt zu werden“.
Kinder begeben sich mit einem Rätselheft auf den interaktiven Rundgang. So nehmen sie gleich am Eingang ein großes Aschenbrödel-Gemälde ins Visier, um die vorkommenden Tiere zu zählen. Sie dürfen Truhen öffnen, Fingerpuppen-Theater spielen, Märchenfiguren zuordnen, Hexen finden oder historische Kindergartenkommoden bestaunen. Malen oder lesen. Filme schauen natürlich auch.
Erwachsene lernen übrigens, dass ein beliebtes alkoholisches Schaumgetränk nicht nach dem gleichnamigen Märchen, sondern nach seiner roten Flaschenkappe, benannt wurde …
Die von Andrea Rudolph, Kustodin für Kultur- und Alltagsgeschichte im Stadtmuseum Dresden, kuratierte und von Alexander Clauß gestaltete Exposition mit umfangreichem Begleitprogramm kann noch bis 3. März 2019 besichtigt werden.
Fotos: Dagmar Möbius
Aufmacher:
Die Erzgebirgische Märchenschau von Egon Umbreit tourte in den 1940er Jahren erfolgreich durchs Land.