Zugegeben: Als Reinhardt Repke in seinem „Club der toten Dichter“ Heinrich Heine vertonte, zog mich der Interpret ins Konzert. Bis Dirk Zöllner „Ich hab im Traum geweinet“ oder „Ich weiss nicht, was soll es bedeuten“ sang, war Heine für mich ein alter, melancholischer Mann. Die Polytechnische Oberschule hatte bei mir kein nachhaltiges Interesse für Literaturklassiker auslösen können. Die Einsicht, wie schade das ist und dass das nicht so bleiben muss, verdanke ich Reinhardt Repke. Der Musiker und Komponist findet, um es analog einem Fontane-Zitat zu sagen, die Austernperlen in alten Werken. Aktuell zu erleben mit neu vertonten Gedichten von Theodor Fontane. Ich durfte bei der Vorpremiere der Tour „So und nicht anders“ dabei sein.
Auf den in diesem Jahr zelebrierten 200. Geburtstag des gebürtigen Neuruppiners Theodor Fontane bereitete ich mich bekanntlich ab Frühsommer 2018 vor. Für eine in der kommenden Woche erscheinende Reportage beschäftigte ich mich mit Orten, Romanen, Figuren. Doch der märkische Dichter begleitet mich weiter.
Schon vor der offiziellen Eröffnung des Fontane-Jahres stellte der „Club der toten Dichter“ sein aktuelles Projekt im Kornspeicher Neumühle in Alt Ruppin vor. „Fast ein bisschen viel“ für Gastgeber Manfred Neumann ist die Fontane-Welle in Brandenburg inzwischen. „Viele springen auf den Förderzug, doch Reinhardt Repke ist immer seinen eigenen Zug gefahren“, würdigt er bei der ausverkauften Vorpremiere am 28. März 2019. „Antragslyrik kann er nicht.“
Das Konzert beginnt leise, balladesk. Akkordeonklänge laden zum gedanklichen Sommerwandern ein. Katharina Franck, einst „Rainbirds“-Frontfrau und in der früheren „Grafschaft Ruppin“ heimisch geworden, zieht das Publikum mit ihrer Stimme sofort in Bann. Als Einzige ist sie zum zweiten Mal im Boot des sonst mit wechselnden Musikern arbeitenden Projektes. Dass ihr das Singen Spaß macht, überrascht weniger, dass Fontane sich in „Auch ein Herzenstrost“ als Sänger bekannt hat, (mich) schon. Als musikalisches Rezept kommt die Empfehlung für „Massage, Kneipp-Kaltwasserkur […] oder Mampes Kräuterlikör“ daher. Das klingt nach französischer Musette und macht richtig gute Laune. Hier zum Einhören. Die Stile zwischen den Songs wechseln. Sie klingen nach Shanty, Country oder Marschmusik und setzen die lyrischen Texte nahezu filmisch in Szene.
Dabei war Repkes erste Begegnung mit Fontane ungewollt. Seine Anekdote aus früher Kindheit ist witzig. Sie begründet nicht nur seinen Weg auf die Bühne, sondern baut – wie sich Jahrzehnte später herausstellt– eine Brücke zu Fontanes Spuren. Trotzdem: Das in der Schule behandelte Gedicht „John Maynard“ konnte er nie auswendig. Jetzt singt er es. In drei Teilen. Im Refrain und abwechselnd mit Katharina Franck. Für dramatische Momente sorgen Cathrin Pfeifer am Akkordeon und Markus Runzheimer am Bass. „Suite“ nennen die Musiker das Werk mit Potenzial zur Rockoper. Katharina Franck debütiert zudem als Perkussionistin. Die Sängerin hantiert mit teils experimentellem Schlagwerk, als hätte sie nie etwas anderes getan. Respekt! Aus dem Publikum schallen „Bravo!“-Rufe. Langer Beifall.
Fontane war ein Meister zusammengesetzter Hauptwörter, die kein anderer verwendete. Sängerin Katharina Franck liest einige Beispiele vor. „Menschheitsbeglückungsidee“, „Höflichkeitsdeckmantel“, „Künstlerüberheblichkeit“ und andere laden zu Wortspielen ein. Auch zu Selbstironie. In „Poesie“ legt Reinhardt Repke dichterische Ideale, Mühen und Trotz in seine Stimme. Der Meister des Gitarrenmanagements spielt während des Konzerts auf sieben verschiedenen Saiteninstrumenten. Und er kann auch Humor. „Ich ging über‘s Heidemoor“ hat das Zeug zum aus der Zeit gefallenen Gassenhauer. Der verlotterte Bekleidungszustand eines Ehepaares wird im Lied über einen Trinker und eine Trinkerin plastisch. Die lyrischen Zeilen von „Lass‘ die Kinder zu mir kommen…“ enden als Kanon. Eindrucksvoll und zeitlos. Ebenso wie „…überlasse es der Zeit“, übrigens „der Lieblingssong unseres Plattenbosses“.
„Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ soll das beliebteste Gedicht der Deutschen sein? Nun ja, meins war es nicht. In die neue „Club der toten Dichter“-Liedversion hat Komponist Reinhardt Repke all seinen Schmerz über persönliche Kindheitserinnerungen gepackt. Er beschäftigt sich in der Regel zwei Jahre mit einem Literaten und dessen Werken. Viel zerknülltes Papier entstehe dabei. Theodor Fontane ist nach Heinrich Heine, Wilhelm Busch, Rainer Maria Rilke, Friedrich Schiller und Charles Bukowski der sechste von ihm neuvertonte Dichter. Für mich derjenige, der mich am meisten anspricht. Das Vorpremierenpublikum offensichtlich auch. Standing Ovations. Der Abgang von der Bühne nach vier Zugaben und knapp drei Stunden im Fontane-Stil. „So und nicht anders“ muss man sehen. Und hören. Gelegenheiten gibt es bis Ende 2019 in ganz Deutschland.
Fotos: Dagmar Möbius
Aufmacher:
(von links) „Club der toten Dichter“-Gründer Reinhardt Repke verhilft mit Akkordeonistin Cathrin Pfeifer, Sängerin Katharina Franck und Bassist Markus Runzheimer Fontane-Gedichten zu neuem Glanz.