Unbezahlte Sorgearbeit. In Lebensläufen größtenteils verschwiegen und im Arbeitsleben selten anerkannt. Seit Ende April 2024 beginnt sich das zu ändern. Franziska Büschelberger hat auf LinkedIn das fiktive Unternehmen „Unpaid Care Work“ gegründet. Die Resonanz übertraf alle ihre Erwartungen.
Fehlende Sichtbarkeit
Unbezahlte Pflege- und Fürsorgearbeit hat viel mit fehlender Sichtbarkeit zu tun. Das ist mir seit Langem bewusst. Zwar thematisierte ich – auch eigene – Care-Verantwortung kontinuierlich, aber nur dort, wo es meiner Meinung nach hinpasste. Das Einzige, was ich gelernt habe: Es interessiert nur Menschen, die selbst Verantwortung für Angehörige oder Freunde übernommen haben oder noch übernehmen. Für alle anderen ist es eine black box. Ein Problem, das auch die professionelle Pflege hat.
Es betrifft viele
Politische Appelle an Gleichstellung und Gerechtigkeit verpuffen. Aber eine von Menschen getragene Welle, die die Dimension unbezahlter Fürsorge- und Pflegeverantwortung und die damit erworbenen Kompetenzen sichtbar macht, ist nicht mehr zu ignorieren. Der Initiative Unpaid Care Work (Persönliche Pflegedienste) folgen inzwischen mehr als 12.000 Menschen. Viele haben das fiktive Unternehmen als Ausbildungs- oder berufliche Station angegeben. Ich nun auch.
Keine Lücke im Lebenslauf
Für viele Menschen bedeutet Sorgearbeit eine Lücke im Lebenslauf. Für mich nicht. Bis 2007 habe ich immer Vollzeit gearbeitet, zum Teil sogar in drei Schichten. Danach war ich zehn Jahre lang 100%ig freiberuflich tätig, was mehr als einer 40-Stunden-Woche entspricht. Die selbstbestimmte Einteilung meiner Arbeit machte es möglich, alle Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen. Seit 2017 bin ich in einem hybriden Modell tätig – teilzeitangestellt und freiberuflich. Kommt zusammen auf mindestens Vollzeit. Ich kenne einige Personen, die trotz häuslicher Pflege berufstätig sind. Die meisten werden bei Karriereentscheidungen nicht berücksichtigt. Und das, obwohl sie leistungsfähig und seltener arbeitsunfähig sind oder anderweitig ausfallen. Was sie brauchen, ist Flexibilität. Darauf sind nur wenige Unternehmen eingestellt.
Die Dimension häuslicher Pflege
Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen (§ 14 Abs. 1 SGB XI). (Pflegestatistik 2021)
Die aktuellste Pflegestatistik für Deutschland mit Zahlen von 2021 geht von rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen „im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI)“ aus. 84 % bzw. 4,2 Millionen werden zu Hause versorgt. Rund 2,5 Millionen Personen erhielten Pflegegeld und wurden allein durch Angehörige gepflegt. Eine weitere Million zu Hause lebende Pflegebedürftige wurden komplett oder teilweise durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste unterstützt. Für knapp 600.000 Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 wurde kein Pflegegeld gezahlt.
Was unsichtbar bleibt
Den Alltag strukturieren, sich um Arzttermine kümmern und dorthin begleiten, Anträge stellen, Widersprüche schreiben, Medikamente setzen und die Einnahme überwachen, Blutdruck messen, Körperpflege übernehmen und Verbände wechseln, Essen kochen, Einkaufen und den Haushalt besorgen, Wäsche waschen, Zuhören und präsent sein – die Liste möglicher Tätigkeiten lässt sich beliebig fortsetzen.
Rund 60 Milliarden Stunden bezahlter Erwerbsarbeit stehen rund 117 Milliarden unbezahlte Sorgearbeit gegenüber. 72 Milliarden davon werden von Frauen geleistet.
Aber es gibt doch Kindergeld und Pflegegeld?
Stimmt. Das ist gut und wichtig, doch wird damit nicht die Arbeitsleistung entlohnt. Pflegegeld bekommt nur jemand ab anerkanntem Pflegegrad 2. Erst dann wirkt sich die Pflegeleistung ggf. auf die spätere Rente der pflegenden Angehörigen aus (Erläuterung der DRV hier).
Für Pflegebedürftigkeit, die weniger als sechs Monate beträgt, wird kein Pflegegrad erteilt. Das betrifft beispielsweise Menschen mit schubweise auftretenden chronischen Erkrankungen. Wer sich um solche Angehörigen kümmert, bekommt weder Pflegegeld noch Rentenpunkte.
„Ich könnte das nicht“
Das Zitat eines früheren Bundesgesundheitsministers ist mir immer noch im Ohr. Für mich als ehemals beruflich im Pflegedienst Tätige stellte sich die Frage nie. Ich kann das und ich will das. Ja, es ist eine persönliche, aber keine private Entscheidung, nahestehende Menschen zu betreuen. Nächstenliebe, Verpflichtung, Vernunft, Pragmatismus oder anderes – die Gründe sind individuell. Zu respektieren sind sie in jedem Fall. Würden alle pflegenden Angehörigen, ob mit oder ohne Pflegegeld, ihren unbezahlten Job plötzlich kündigen, würde unsere Wirtschaft zusammenbrechen. Abgesehen davon, dass es weder genug Pflegefachkräfte, noch genügend Pflegeplätze und andere Kapazitäten gibt.
Wertschätzung dafür ist das Mindeste, was die Gesellschaft dafür tun kann.
Foto: Rollz International
Danke für den Open Source Artikel. Ich habe heute einen Leserbrief an die Berliner Zeitung geschickt. Mal sehen, was daraus wird. Ich bin eine Diplommedizinpädagogin die die Arroganz von Dieter Lullies life erlebt hat. Ich könnte viel erzählen…
Brigitte Gollnast
Dipl.med.päd.
Liebe Frau Gollnast, herzlichen Dank! Habe Ihnen eine private Nachricht geschickt. Viele Grüße, Dagmar Möbius